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AUFBRUCH

Franz Kafkas Parabel DER AUFBRUCH stand sozusagen Pate bei der Suche nach einem Motto für das theaterland-Jahr 2022. Dieser Aufbruch war als offene Formulierung gedacht, der Raum für Erkundungen und Entdeckungen schaffen sollte. Es sollte auch um die Zeit nach der Pandemie und die Beschäftigung des Einzelnen damit, als Teil der Gesellschaft gehen. Und es sollte ein AUFBRUCH nach den Monaten des Wartens und Stillstehens sein und der Frage nachgehen: Was alles war kafkaesk daran?
Nun ist es so, dass gegenwärtig die Welt vor einem ganz und gar anderen AUFBRUCH steht. Der Krieg in Europa hat mit einem Schlag unser aller Leben verändert. Abertausende sind im Aufbruch, sind auf der Flucht und wissen nicht – wie in Kafkas „Aufbruch“ – wohin die Reise geht. Ein AUFBRUCH ins Ungewisse.
Vor diesem Hintergrund ein 6-monatiges Theaterfestival zu planen ist eine Herausforderung. Einfach zur Tagesordnung übergehen, würde unserem Motto widersprechen. Und so setzen wir bei diesen sieben Theaterfesten in ebenso vielen steirischen Regionen bewusst Zeichen.
Heiner Müller, dessen Autobiografie "Krieg ohne Schlacht" hiess, hatte sein 1982 uraufgeführtes Macht-Drama "Quartett" mit der Szenenanweisung begonnen: "Salon vor der Französischen Revolution / Bunker nach dem dritten Weltkrieg." Als ihn eine Journalistin vor jetzt vierzig Jahren fragte, ob das mit dem dritten Weltkrieg nicht arg pessimistisch klinge, antwortete der schlaue Dichter: "Aber nein, das ist ein Zeichen meines Optimismus. Ich sage doch, Bunker nach dem dritten Weltkrieg!′" Dieser Sarkasmus trifft unverhofft in unsere aktuelle Stimmung.
QUARTETT zeigen wir bei ARTIGKLASSISCH in Straden. Wir feiern mit Ferdinand Schmalz` JEDERMANN (STIRBT) bei den Theatertagen in Weissenbach eine extravagante Party hinter hohen Mauern, weit weg von der Realität dort draussen und realisieren die Uraufführung von VERFREMDUNG DER VERHEERUNG in einer Kooperation mit dem Movingtheatre Köln beim Werkstatt-Festival in Oberzeiring; ein wilder Theaterabend über die schicksalhafte Verschränkung von Interessen, Absichten und Wirkungen, die den historischen Wechsel von Kriegs- und Friedens-Zeiten begleitet.
Dies sind nur drei von mehr als 100 Projekten, die es 2022 bei den Theaterfesten der Regionen wieder zu sehen geben wird. Traditionellerweise startet der Festivalreigen im Mai mit dem SOMMERTRAUMHAFEN in Wies, das internationale Festival für ein zeitgenössisches Figurentheater.
Lassen Sie uns, im Gedenken an die Opfer dieses und aller Kriege dieser Welt, einen AUFBRUCH in eine friedvolle Zukunft starten.

Peter Faßhuber
Künstlerischer Leiter

GF Peter Faßhuber • Foto © H.C.Ainderdinger